Zirkusleben ohne Publikum

Alles ist lackiert, alles ist gestrichen, alles ist repariert, alles ist vorbereitet für den Moment, „wenn es irgendwann wieder losgeht“. Aber es geht nicht wieder los. Oder um es im Zirkusjargon zu sagen: Die Manege bleibt frei – kein Publikum und keine Aufführung seit Monaten. Doch Fernando Trumpf sagt: „Wir haben noch nicht aufgegeben.“

Sieben Monate liegt der letzte Besuch beim kleinen Circus Ronelli zurück. Damals, Anfang September im Coronajahr eins, hatte Fernandos Frau Maike nach einem halben Jahr ohne Vorführungen noch von ihrer Hoffnung auf das Weihnachtsgeschäft gesprochen, aber auch von ihrer Sorge: „Wenn wir Anfang nächsten Jahres nicht rauskönnen, braucht man keinen Zirkus mehr zu machen.“ Mit dem Rauskommen haben sie es dann zwar zwischenzeitlich wieder versucht: Sechs Wochen im September und Oktober hat die Zirkusfamilie mit den vier Kindern Melina (12), Skyla (8) und den sechsjährigen Zwillingen Neveo und Neyphan ihr Zirkuszelt für ein paar Aufführungen an mehreren Stationen im Kreis Düren aufgebaut.  Mal 20, mal 25 Zuschauer haben sich in den Vorstellungen getummelt, in dem bis zu 350 Menschen Platz hätten. Aber dann war Anfang November wieder Schluss, die nächsten Corona-Beschränkungen wurden beschlossen, die Hoffnung auf Einkünfte aus dem Weihnachtscircus platzte.  Seither stehen die Ronelli-Zirkuswagen in Nideggen-Schmidt im Kreis Düren und warten auf Bewegung – seit einem halben Jahr vergeblich.

Der Circus Ronelli ist ein junges Familienunternehmen.

Die Familie bestreitet das komplette Programm alleine

Fernando Trumpf und seine Frau Maike sind beide 32 Jahre alt. Mit dem Familienunternehmen Ronelli haben sie sich erst vor vier Jahren selbstständig gemacht, das komplette Programm wird von den Eheleuten und ihren Kindern bestritten. Die Ponys und Ziegen, den Pudel und den Chihuahua haben sie durch den Winter gebracht – dank der Futterspenden aus der Bevölkerung und der Unterstützung, die die Zirkusfamilien sich untereinander zukommen lassen: „Der eine hat Kraftfutter übrig, der andere dafür vielleicht Möhren“, erzählt Trumpf. Aber da bleiben die Versicherungen, da bleiben die Ratenzahlungen für das noch nicht abbezahlte Zirkuszelt. Das Arbeitslosengeld II ist in dieser Situation nur ein schwacher Trost.

Wagen mit Süßigkeiten als „Tropfen auf den heißen Stein“

Also versuchen sie sich selbst zu helfen, so gut es geht. Seit Mitte Januar steht donnerstags bis sonntags im Nideggener Ortsteil Schmidt Ronellis Candy Shop, ein Wagen mit selbst hergestellten Süßigkeiten von Crêpes über frische Schokofrüchte und Popcorn bis hin zu gebrannten Mandeln. „Ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Trumpf, aber immerhin ein paar Einkünfte. Zumal auch hier die gegenseitige Hilfe gegriffen hat: „Eine Familie hat die Schokolade zur Verfügung gestellt, eine andere die Spieße oder den Popcornmais.“ Wenn die Frühjahrswärme Einzug gehalten hat, wollen es die Trumpfs zusammen mit Kollegen auch mit einem Streichelzoo versuchen.

Fernando Trumpf wurde in eine Zirkusfamilie hineingeboren.

Ein anderes Leben ist nicht vorstellbar

Verzweiflung? Nein, dieses Wort nimmt Fernando Trumpf nicht in den Mund. Eher schon räumt er gelegentliche Wut ein: wenn sich die Menschen mal wieder beim Einkaufen drängen oder nach Mallorca fliegen dürfen, während der Besuch im großen Zirkuszelt trotz aller Abstandsoptionen, eines Belüfters und hochgeschlagener Seitenplanen verboten bleibt. „Aber es ist ja nicht nur für uns schwer.“ Kinos, Theater, Konzerthallen, überall liegt das kulturelle Leben brach. Und eine Zeit nach Corona ohne all diese Angebote sei doch nicht vorstellbar. Die Zirkusse schließt er da gedanklich mit ein. Darum ist Aufgeben für ihn auch keine Option. „Man ist ja damit groß geworden.“ Der 32-Jährige ist in eine Zirkusfamilie hineingeboren, auch seine vier Kinder kennen kein anderes Leben als das auf Reisen. Ihr Unterrichtsangebot erhalten sie dabei von der Schule für Circuskinder der Evangelischen Kirche im Rheinland.

Hoffnung auf ein ausgehungertes Publikum nach Corona

Manchmal blickt die Familie ins benachbarte Ausland und auf die Regelungen, die dort gelten. In den Niederlanden wird gerade daran geforscht, wie Kulturveranstaltungen und Coronaschutz zusammenpassen können. „Zur Not müssen wir auswandern“, sagt Fernando Trumpf, aber noch klingt das nicht sehr überzeugt. Lieber hält er sich mit der Vorstellung über Wasser, dass das Publikum ausgehungert sein wird, wenn die Pandemie überwunden ist, und die Vorstellungen dann spürbar besser besucht sind. Nur wann dieser Moment kommt, dazu wagt er inzwischen keine Prognose mehr: „Seit wir hier in Schmidt stehen, sagen wir ständig, dann und dann geht es wieder los.“ Aber die Zirkuswagen stehen noch immer am selben Ort.  Und für den Zirkusbetreiber gilt weiter auf unbestimmte Zeit: „Unterkriegen lassen wir uns nicht.“

Info: Circus- und Schaustellerseelsorge

Die Circus- und Schaustellerseelsorge (CSS) der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist das Angebot zur Begleitung der heute rund 23.000 Menschen, die zur „Gemeinde auf der Reise“ gehören. Diese Gemeinde gibt es nun schon seit mehr als 60 Jahren. Die CSS besucht die Familien auf der Reise, feiert Gottesdienste auf Volksfesten und in der Manege, übernimmt Taufen, Konfirmationen, Trauungen und Beerdigungen und beteiligt sich an Schul- und Ausbildungsprojekten für die Kinder beruflich Reisender.

  • 22.4.2021
  • Ekkehard Rüger
  • Circus Ronelli